Vor dem Saisonstart: Interview mit Reinhold Jessl

Reinhold Jessl, Trainer des VfB Oberndorf

Die Vorfreude auf die Rückkehr in die Gruppenliga Frankfurt Ost  ist riesgengroß. 10 Spielzeiten lang war der VfB Oberndorf mit 7 Platzierungen unter den jeweils besten 4 Mannschaften meist knapp und oft genug tragisch an einem vorzeitigen Aufstieg gescheitert. Vor einigen Wochen gelang souverän der langersehnte Meistertitel. Nun ist aber der Partymarathon Vergangenheit. Zumal bei den anstehenden Aufgaben weitere ausgiebige Jubelarien nicht angebracht sind. Ohnehin ist Gefühlsduselei bei Trainer Reinhold Jessl wenig Platz. „Was muss nun getan werden, um in der höheren Klasse zu bestehen“, fragt sich am Rabenberg wohl jeder insgeheim. Wer von außen draufschaut denkt vielleicht die Marschroute des Trainers geht einfach so weiter. Doch wer bei den Testspielen und im Training genau hinsah, hat erkennt, dass der Trainerfuchs einen schlüssigen Plan hat, um sich von den Konkurrenten abheben zu wollen. In unserem Interview verrät er seine Überlegungen.

Vertrauen in Reinhold Jessl förmlich auf unüberbietbarem Niveau

„Wer mich verpflichtet, muss wissen wen er da holt“, hat Reinhold Jessl mal gesagt. Dies ist keine Drohung sondern bedeutet vor allem, dass der Ex-Profi eine klare Vorstellung von dem hat was er tut. Er gehört ganz sicher nicht zu den Trainern, die im Verein ein basisdemokratisches Gremium ins Leben ruft, um sich beispielsweise die Aufstellung wohlwollend von allen absegnen zu lassen oder gar bei einem Rückstand einem Betreuer kurzum die Handlungsvollmacht erteilt. Volle Verantwortung, klare Linie, extrem hohe Fachkompetenz, enorme Erfahrung und ein sehr genauer Blick für das Wesentliche zeichnen ihn aus und machen unweigerlich erkennbar was der Unterschied zwischen einem „erfolgreichen Trainer“ und einem „einfachen Übungsleiter“ ist. Er fordert viel und schafft es so, seine Jungs durch konzentriertes, fleißiges Arbeiten zu fördern. Auch wenn manch einer ihm eine gewisse Unterkühltheit zuschreibt, sollte man nicht unterschätzen, dass der Vollblutfußballer ein viel empathischer Mensch ist als man denkt. Sein Bruder Michael weiß zu berichten: „sobald die Kugel rollt ist er extrem fokussiert und lebt absoluten Ehrgeiz vor!“ Selbst als beispielsweise die Meistermannschaften des TSV Höchst gegeneinander antraten und sein in die Jahre gekommenes Team aussichtslos schien, setzte er alles dran zu gewinnen. Und wie so oft gab ihm auch hier seine Entschlossenheit den Erfolg. Genau aus diesen Gründen ist man beim VfB vor der 3.Saison mit der Trainerpersonalie hoch zufrieden. Das Vertrauen in sein Können, um auch in der neuen Spielklasse den richtigen Weg zu finden, ist auf einem wahrscheinlich nicht mehr zu überbietenden Niveau angekommen. Da ist es ein luxuriöser Moment nach dem Stand der Dinge zu fragen.

Interview vom 02.August 2017

VfB-Oberndorf.de: Fangen wir mal mit einer ganz klassischen Fragen zum lockeren Einstieg an. Wie zufrieden bist Du mit der Vorbereitung gewesen?
Reinhold Jessl: Absolut top! Wir hatten immer über 20 Mann im Training und kaum Ausfälle. Wir sind verletzungsfrei durch die Vorbereitung gegangen. Das kommt auch nicht so oft vor. Klar hatten wir Schwierigkeiten bei dem ein oder anderen Testspiel. Aber da haben wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen und haben gezielt und intensiv an den entsprechenden Dingen gearbeitet. Wir haben wirklich viel gemacht.

VfB-Oberndorf.de: Hast Du einen Spieler gesehen der positiv heraussticht?
Reinhold Jessl: Das könnte ich jetzt so nicht sagen. Aber eher weil wirklich alle voll mitziehen. Die Jungs sind sowieso immer sehr ehrgeizig.

VfB-Oberndorf.de: In unserem Interview mit Thomas Wirsing war klar rauszuhören, dass es ein besonderes Verhältnis zwischen Dir und ihm ist. Was kannst Du uns zu ihm sagen? Insbesondere weil ihr ja nun beide erstmals als Trainerteam zusammenarbeitet.
Reinhold Jessl: Der Thomas ist sehr ehrgeizig und tut alles für den Erfolg. Er ist sehr akribisch und versucht als Trainer viel mitzunehmen. Wir tauschen uns ständig aus, er hat eine gute Meinung und versteht viel vom Fußball. Zudem seine positive Einstellung. Also so gesehen das Optimalste was wir nach dem Thomas Korn kriegen konnten. Denn mit ihm haben wir einen Top-Mann verloren. Besser hätte man es zum aktuellen Zeitpunkt nicht lösen können.

VfB-Oberndorf.de: Mit Deinem Trainerkollegen haben wir auch über die Kadergröße gesprochen. Wie siehst Du die Lage?
Reinhold Jessl: Der Kader ist schon relativ dünn. Da darf nicht viel passieren. Wir können natürlich von unten Spieler hochziehen, aber das ist leichter gesagt als getan. Insgesamt habe ich lieber mehr Spieler als zu wenige.

VfB-Oberndorf.de: Wenn man sich die Ab- und Zugänge anschaut und ganz platt vergleicht, sind für einen Tormann zwei neue Torhüter gekommen. Und für die beiden defensiven Spieler Uli Eisenacher und Sascha Schmidt ein offensiver mit dem Almir Muminovic. Ist neben dem kleinen Kader auch das Problem vorhanden, dass Du zu viele offensive und zu wenig defensive Spieler hast?
Reinhold Jessl: Wir haben natürlich mit Defensivspielern gesprochen. Aber wir haben keinen bekommen. Man muss das bisschen differenzieren. Ganz wichtig ist ja, dass der Sebastian Sachs wieder voll da ist. Der hat uns letzte Saison ein dreiviertel Jahr gefehlt. Er kann den Uli Eisenacher sicherlich ersetzen. Beim Sascha Schmidt war es im letzten halben Jahr so, dass er bedingt durch Verletzungen und Erkrankungen nur noch ganz wenige Einsätze in der 1.Mannschaft hatte. Insofern würde ich das Wechselverhältnis als 1:1 und nicht als 0:2 bezeichnen. Außerdem können wir den Dustin Seib zurück in die Innenverteidigung ziehen.

VfB-Oberndorf.de: Dann sprechen wir mal über die Abteilung „Attacke“. Viele Offensive mit unterschiedlichsten Fähigkeiten. Gibt es Härtefälle wo der ein oder andere Stürmer sich mit einer neuen Position anfreunden muss oder auf der Bank landet?
Reinhold Jessl: Bei einem 15ner Kader sehe ich keinen Härtefall. Es passiert so schnell mal was, da wird niemand lange auf der Bank sitzen müssen. Als reine Stürmer sehe ich auch nur den Kai Helmchen, Sebastian Jessl und Almir Muminovic. Die anderen Spieler können auch im Mittelfeld und insbesondere im offensiven Mittelfeld spielen. Der Nico Thomas wird sich da sicherlich in den Dienst der Mannschaft stellen und da spielen wo ich ihn hinstelle. Andere wie beispielsweise der Tim Lingenfelder kann ja auch die 8 spielen und der Julian Walz ist auch nicht der klassische Stoßstürmer und kommt eher aus dem Mittelfeld. Zudem können wir den Lukas Röder auch auf beide Außenverteidigerpositionen einsetzen. Ich muss auch nicht jeden fragen wo er am liebsten spielen möchte. Dann bräuchten wir einen Bundesliga-Kader von 22 Mann und wir verpflichten die Leute speziell für die entsprechenden Positionen. Aber wir haben zum Glück gute Spieler, die mehrere Positionen spielen können. Mir ist es ohnehin zu einfach wenn generell irgendein Fußballer sagt, er kann nur eine gewisse Position spielen.

VfB-Oberndorf.de: Dann kommen wir mal zu Deinen Gedankenspielen was die neue Liga mit stärkeren Gegnern angeht. Im Gegensatz zu letzter Saison ist ja damit zu rechnen, dass man anstatt gegen dichtes Bollwerk oft auch Tiefe bekommt. Das sollte ja bei unseren Spielertypen ein Vorteil sein. Kurzum: Was wird Deiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg?
Reinhold Jessl: Wir haben letztes Jahr schon unterschiedliche Varianten drauf gehabt. Auch das Konterspiel. Für mich ist der Gedanke gar nicht so auf eine Art fokussiert, sondern dass wir flexibler werden. Wir werden sehen wie stark die Liga ist und in Spielen in den wir hinten rein gedrückt werden müssen wir dann logisch auf schnelle Konter setzen.

VfB-Oberndorf.de: Also ist die Verbesserung der Flexibilität oder wie man so schön sagt die „Polyvalenz“ Dein Hauptaugenmerk in der Vorbereitung gewesen? Man konnte ja auch schon sehen, dass Du ein neues System ausprobiert hast.
Reinhold Jessl: In diesen Ligen ist es sicherlich nicht gewöhnlich, dass man zwei Systeme spielen kann. Wir haben also nicht umsonst ein weiteres System dazu genommen. So haben wir immer einen Plan B in der Schublade. Und das ist außergewöhnlich. Wir können unser normales System spielen, dass auch gut funktioniert wenn wir uns zurück ziehen und auf Konter spielen. Dann haben wir jetzt trainiert, um mit 3er-Kette zu spielen. Sogar mit Varianten. Zum Beispiel die beiden Äußeren nach hinten ziehen, um defensiv besser zu stehen. So können wir ein Bollwerk errichten und mit zwei echten Stürmern auf Konter spielen. Oder wir können ein 3-5-2 spielen, in dem wir die Außen höher stellen und so im Pressing agieren. So wie im Testspiel gegen Schlüchtern-Elm. Ich will nicht sagen, dass wir nur so oder so spielen und nur ein System durchpressen. Denn wenn es nicht läuft oder die Gegner sich anders als erwartet verhalten, wären wir nicht flexibel genug. Es ist für uns besser, dass wir nun erstmal schauen wie stark die anderen Mannschaften sind und wir reagieren darauf. Diese Flexibilität sehe ich ein bisschen als unsere Besonderheit an, was die meisten Konkurrenten so sicherlich nicht haben werden.

VfB-Oberndorf.de: Wie groß ist dabei das Selbstbewusstsein als Aufsteiger es spielerisch zu lösen?
Reinhold Jessl: Das war ja auch letztes Jahr immer unser Ansatz. Aber wir brauchen eine andere Körpersprache und der Kopf muss oben bleiben, da alles schneller und härter wird. Aber wir wollen schon unser Spiel durchdrücken wie wir es in der Kreisoberliga gemacht haben. Auch das wird von ganz alleine kommen. Wenn wir gegen Mannschaften spielen die einen enormen Druck auf uns ausüben werden wir die Bälle öfters mal rausschlagen oder es mit einem langen Ball versuchen. Es ist wichtig, dass wir spielstarke Spieler ins Mittelfeld einbauen, die in schwierigen Situationen Lösungen finden. Und wir brauchen außen und vorne schnelle Spieler, die dann die Konter setzen können. Vorne müssen die Bälle dann auch mal gehalten werden. Genau dafür haben wir den Almir geholt, der da Ruhe reinbringen soll und was wir am Kai haben wissen wir eh.

VfB-Oberndorf.de: Du schaust im Training genau hin und verfolgst stets ein Idealbild. Wie weit ist die Mannschaft von Deinem Idealbild entfernt?
Reinhold Jessl: Ganz schwierig zu sagen, wie weit wir sind. Es ist für viele Spieler nun Neuland und da müssen sich einige erstmal zu Recht finden. Wir haben in der Vorbereitung mehr für die  Fitness getan, um die Spieler stabiler und robuster zu machen. Sie müssen sich auf höheres Tempo, auf schnellere Bewegungen und auf mehr Handlungsschnelligkeit einstellen. Da ist noch Luft nach oben. Wir müssen auch taktisch besser werden. Da gehört dazu, dass wir mehr miteinander reden. Weil das ist ein Problem, dass wir seit 2 Jahren haben. Die Mannschaft kommuniziert zu wenig und versucht es dann auf andere Arten zu lösen. Es wäre besser wir würden uns mehr auf dem Platz helfen. Auch die Ballsicherheit wird ein Punkt werden auf die wir Wert legen müssen. Ansonsten laufen wir hinterher. Zum Ideal gehört aber noch mehr. Das richtige Anlaufen beim Pressing oder bestimmte Bewegungen gegen den Ball.

VfB-Oberndorf.de: Werfen wir mal ein Blick auf die neue Liga. Mit welchen Vereinen wird der VfB um die gleichen Ziele konkurrieren?
Reinhold Jessl: Das ist überhaupt nicht zu beantworten. Ich vermute das maximal 4 oder 5 Mannschaften um die Meisterschaft spielen. Der Rest kann sich ausrechnen, dass er gegen den Abstieg spielt. Aber wer das sein wird, ist schwierig zu sagen. Es gibt ja die üblich Verdächtigen, die etwas mehr investieren können. Der Rest darf sich freuen, wenn es zum Klassenerhalt reicht.

VfB-Oberndorf.de: Kannst Du uns Deine neuen Spieler schon etwas genauer vorstellen?
Reinhold Jessl: Beim Almir hoffen wir natürlich, dass er schnell in unser System reinwächst, er uns Entlastung bringt und torgefährlich ist. Beim Marcel ist es klar, dass er uns den Matthias Neiter 1:1 ersetzen soll. Ich glauben wir haben mit ihm einen wirklich sehr guten Neuzugang bekommen.

VfB-Oberndorf.de: Wer von den jungen Spielern könnte den Schritt am ehesten schaffen?
Reinhold Jessl: In absehbarer Zeit können es schon welche aus der jetzigen A-Jugend schaffen. Aber der Sprung in die Gruppenliga ist natürlich riesig. Um Fuß zu fassen ist wichtig, dass sie regelmäßig trainieren. Das Gute ist ja, dass sie auch in der 2.Mannschaft mindestens A-Klasse-Spielpraxis sammeln und sich auch dort fast nur gegen 1.Mannschaften messen. So gewöhnen sie sich automatisch an das rauere Klima. Mit Blick auf das A-Team wäre es zwar in der Kreisoberliga einfacher gewesen, aber so müssen die Spieler mehr Wille und Geduld mitbringen. Sie müssen die eigene Weiterentwicklung selber vorantreiben. Nur anwesend sein bringt da nichts. Wir nehmen zwar den ein oder anderen mal mit, aber aktuell sieht es da schwierig aus. Das kann aber in einem viertel Jahr schon ganz anders aussehen.

VfB-Oberndorf.de: Man freut sich so viele Jahre auf die Gegner aus Offenbach, Hanau und Büdingen und nun startet man „nur“ mit einem Derby gegen einen Gelnhäuser Vertreter. Hättest Du Dir zum Saisonstart einen anderen Gegner gewünscht?
Reinhold Jessl: Das passt schon so! Gerade auch im Hinblick auf die zu erwartende Kulisse. Letztendlich ist es egal wann wir gegen Orb spielen.

VfB-Oberndorf.de: Große Diskussionen gab es im Vorfeld auch schon um den 2.Spieltag am Kiersonntag in Marköbel. Haben sich die Jungs da Samstagabend zuvor im Griff?
Reinhold Jessl: Ob sie sich im Griff haben weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass wir die Spieler voll in die Verantwortung mit einbezogen haben. Wir hätten ja auch Dienstagabend spielen können. Aber das Team wollte lieber den Sonntag und damit haben sich die Spieler die Antwort selber gegeben. Damit ist das Thema erledigt.

VfB-Oberndorf.de: Zum Abschluss noch mal ein Blick ein Jahr zurück. Wenn man eine so gute Saison spielt liegt der Verdacht nahe, dass es für das Team auch schon in 2016/17 für die Gruppenliga gereicht hätte und man vielleicht ein Jahr in der Entwicklung verpasst hat. Kommt der Aufstieg für Dich ein Jahr zu spät?
Reinhold Jessl: Das können wir kurz machen. Ich bin absolut überzeugt, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist.

Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Reinhold und seinem Team eine erfolgreiche Saison. Damit geht an dieser Stelle der Aufruf einher, die kommenden 10 Monate enorm eng und fest zusammen zu rücken. Erwartungsgemäß wird es mehr Rückschläge und Niederlagen als in den letzten Jahren geben. Deshalb sollte der traditionelle Zusammenhalt beim VfB wieder das große Faustpfand werden. Denn wie gerne haben wir gesehen, wenn der vermeintlich kleine Spessartclub hoch oben im Wald die anderen Vereine überrascht oder gar schwer beeindruckt hat. Packen wir es gemeinsam an!

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